Wofür wirtschaften wir: Gewinnmaximierung oder Gemeinwohl?

Unternehmen streben nach Gewinnmaximierung und verdrängen sich so lange gegenseitig vom Markt, bis nur mehr wenige große Konzerne übrig sind. Diese haben dann alle Macht gegenüber KonsumentInnen und Staaten und diktieren das globale Geschehen. Umwelt- und Sozialstandards kommen dabei unter die Räder des Profitstrebens. Mit „mehr Wachstum“ könnte der Profit gerechter aufgeteilt werden. Nur ist „mehr Wachstum“ auf einem endlichen Planeten nicht möglich. Kapitalismus und Kommunismus sind gescheitert. Jetzt sind neue Ideen gefragt – wie z.B. die Gemeinwohl-Ökonomie. Das Konzept beschreibt zentrale Elemente eines sozialeren, ökologischeren und demokratischeren Ordnungsrahmens für die Wirtschaft. Bis heute haben sich der Initiative bereits mehr als 2000 Unternehmen angeschlossen. 

Worum geht es dabei?

Die Gemeinwohl-Ökonomie orientiert sich am eigentlichen Zweck des Wirtschaftens – der Erfüllung unserer menschlichen Bedürfnisse. Dabei geht es vor allem um gelingende Beziehungen: Sie sind die Voraussetzung, um glücklich zu sein. Die Gemeinwohl-Ökonomie beruht auf denselben Grundwerten, die unsere Beziehungen gelingen lassen: Vertrauensbildung, Wertschätzung, Kooperation, Solidarität und Teilen. Das Geld ist hingegen nur ein Mittel des Wirtschaftens: Die Wirtschaftsleistung, in Geld gemessen, sagt nichts darüber aus, ob das Gemeinwohl steigt oder sinkt. Um zu messen, ob der Zweck erfüllt wird, sind andere Messgrößen gefragt.

 

In einer echten Ökonomie ist das Geld nur Mittel zum Zweck. Schaffen wir es, die wirtschaftliche Erfolgsmessung auf das Ziel zu richten, fließt die menschliche Kreativität in die Mehrung des Gemeinwohls. Dann stimmen Wirtschaft und Werte zusammen!

Christian Felber, Autor „Gemeinwohl-Ökonomie“

 

Unternehmen können ihren Beitrag zum Gemeinwohl anhand des Gelingens ihrer Beziehungen zu LieferantInnen, GeldgeberInnen, MitarbeiterInnen, KundInnen und dem gesellschaftlichen Umfeld bewerten – in Hinblick auf Werte wie Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung. Sie sollen – analog zur Finanz-Bilanz – eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen, in der die Größe des Gemeinwohl-Beitrags in Punkten bewertet wird.

Wirtschaftlicher Erfolg wird also nicht länger mit (monetären) Tauschwertindikatoren gemessen, sondern mit (nichtmonetären) Nutzwertindikatoren. Auf Volkswirtschaftsebene wird das BIP dabei als Erfolgsindikator vom Gemeinwohl-Produkt abgelöst, auf Unternehmensebene die Finanzbilanz von der Gemeinwohl-Bilanz. Diese wird zur Hauptbilanz aller Unternehmen. Je sozialer, ökologischer, demokratischer und solidarischer Unternehmen agieren und sich organisieren, desto bessere Bilanzergebnisse erreichen sie. Je besser die Gemeinwohl-Bilanz-Ergebnisse der Unternehmen in einer Volkswirtschaft sind, desto größer ist das Gemeinwohl-Produkt.

 

Gemeinwohlbilanz des Outdoor-Spezialisten VAUDE

 

Anhand der Gemeinwohl-Bilanz können KonsumentInnen erkennen, wie viel einzelne Unternehmen zum Gemeinwohl beitragen – und können beim Einkauf darauf achten, für welches Angebot sie sich entscheiden. Zudem können Unternehmen, die viel fürs Gemeinwohl tun, durch geringere Steuern, einen leichteren Zugang zu Förderungen oder Krediten oder durch Bevorzugung im öffentlichen Einkauf weitere Marktvorteile erhalten. Der rechtliche Anreizrahmen für die Wirtschaft wird dadurch umgepolt von Gewinnstreben und Konkurrenz auf Gemeinwohlstreben und Kooperation. Ethische, ökologische und regionale Produkte und Dienstleistungen werden billiger als unethische, unökologische und globale.

 

Plötzlich sind nachhaltige, faire, demokratische und kooperative Unternehmen im Vorteil. Regionale Wirtschafts­kreisläufe kommen in Schwung. Es entstehen menschenwürdige Arbeitsplätze und hochwertige Produkte und Dienstleistungen, während Umweltschäden und soziale Probleme zurückgehen.

 

Interessant an dem Konzept sind auch die dadurch erzielbaren Optimierungen hinsichtlich der Erwerbsarbeitszeit. Diese kann perspektivisch auf das mehrheitlich gewünschte Maß von 30 bis 33 Wochenstunden reduziert werden. Zudem kann jedes zehnte Berufsjahr als Sabbatical genommen werden, das durch ein bedingungsloses Grundeinkommen finanziert wird. Dadurch entsteht freie Zeit für andere zentrale Arbeitsbereiche wie Beziehungs- und Betreuungsarbeit (Kinder, Kranke, SeniorInnen), Eigenarbeit (Persönlichkeitsentwicklung, Kunst, Garten, Muße) sowie politische und Gemeinwesenarbeit, was insgesamt zu einem Lebensstil führen kann, der konsumärmer, suffizienter und ökologisch nachhaltiger ist.

Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung vom Juli 2010 wünschen 88 Prozent der Deutschen eine „neue Wirtschaftsordnung“. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Initiative lädt dazu ein, die Verwirklichung der genannten Werte in Wirtschaft und Gesellschaft mitzugestalten. Alle Ideen für eine zukunftsfähige Wirtschaftsordnung sollen in demokratischen Prozessen entwickelt, vom Souverän entschieden und in der Verfassung verankert werden.

 

Weitere Infos

https://web.ecogood.org/de/idee-vision/theoretische-basis/

 

Videos zur Einführung

 

Beispiel VAUDE

https://nachhaltigkeitsbericht.vaude.com/2018/gri/csr-standards/gemeinwohloekonomie.php

 

Beispiel Polarstern Energie

https://www.polarstern-energie.de/ueber-uns/

https://www.polarstern-energie.de/magazin/artikel/gemeinwohl-oekonomie-polarstern-ist-der-erste-energieversorger-mit-gemeinwohl-bilanz/

 

Beispiel Landbrot

https://www.landbrot.de/oekonomie/gemeinwohl-oekonomie/gemeinwohl-thesen.html

 

Beispiel hpkj

https://www.hpkj-ev.de/gemeinwohl-oekonomie

 

Titelbild: Polarstern Energie