Streifzüge durchs Metaversum

Gepriesen seid’s, o ihr umtriebigen Innovatoren! Wieder mal huscht ein Novum durchs Ländle, genauer gesagt: treibt’s eine frische Sau durchs Marketingdorf: das Metaverse. 

Nach dem schnell verpufften Hype um Rohrkrepierer wie Conversational Branding oder die Social-Gelaber-Plattform Clubhouse, die Überfrachtung mit und damit Selbstadabsurdumführung von Influencern sowie der noch immer überschätzten Fähigkeiten von Big Data und K.I. im Marketing, musste etwas Neues her, womit man Unternehmen das Geld aus der Tasche ziehen kann. Dabei ist das „Neue“ aber nur aufgewärmtes Altes, das auch damals schon keinen so richtig interessiert hat. Warum sollte es also jetzt?

Wir erinnern uns: 2003 ging Second Life online und dann auch erstmal durch die Decke, bevor es Ende der Zeroes wieder klang- und sanglos in der Bedeutungslosigkeit versank. Erklärtes Ziel seiner Macher war es damals, eine Welt wie das „Metaversum“ zu schaffen, das in dem Roman Snow Crash von Neal Stephenson beschrieben wird: eine vom Benutzer bestimmte virtuelle Parallelwelt, in der Menschen interagieren, spielen, Handel betreiben und anderweitig kommunizieren können. In Second Life wurde anderweitig kommunizieren können bekanntlich schnell als Dirty Talk von den Nutzern misinterpretiert, deren Avatare sich gerne in Lack und Leder, Straps und Mieder kleideten, was zur Folge hatte, dass Pionier-Unternehmen wie Adidas, Daimler, BMW oder die Deutsche Post AG sich bald vergrätzt wieder mit ihren so sinnigen Angeboten wie digitalen Turnschuhen aus der aktuellen Kollektion für Avatare (cringe!) oder Postkarten aus dem Metaversum an die reale Welt (LOL!) zurückzogen. Als dann auch noch bekannt wurde, dass der britische Geheimdienst und die NSA die Kommunikation der User überwachten, war Second Life dann auch durch. Ein Versuch, das Ganze in VR aufzuwärmen – Project Sansar genannt – scheiterte 2020 ergo aufgrund mangelnder Rentabilität. Ein Schicksal, das nach einem ersten Hype sicherlich auch dem heutigen Metaverse bevorstehen dürfte. On vera.

Erstmal aber geht’s ab dort, denn Unternehmen wittern hier natürlich: big business. Wie immer im Kapitalismus, wird jeder Fitzel Welt (egal ob real oder virtuell), auf dem noch kein Logo prangert, ja sofort kapitalisiert. Und damit jede Innovation, die sozialen Fortschritt bedeuten könnte, gleich wieder niedergemacht. Das war schon in Social Media der Fall, das irgendwann einmal dafür gedacht war, dass Menschen frei miteinander kommunizieren und sich austauschen können, und nicht als Erweiterung analoger Shoppingmeilen und Werbeflächen. Wer heute auf Facebook geht, trifft noch eine Handvoll Leute, die den Hype verschlafen haben, und wird aggressiv von Werbung attackiert wie von Moskitos in der Abenddämmerung. Gleiches erfährt der geneigte Nutzer nun in 3D VR, was die Moskitos nicht besser macht.

Das amerikanische Schuhunternehmen Sketchers etwa hat eine Fläche von 5.000 Quadratmetern im Fashion District von Decentraland gemietet, wo es virtuelle Waren wie Schuhe und Bekleidung für Avatare anbieten will. „Wir freuen uns darauf, in dieses virtuelle Zeitalter einzutreten und kreative Wege für unsere Marke zu erkunden, um mit neuen Kunden und Zielgruppen in Kontakt zu treten“, erklärte Präsident und Mitbegründer Michael Greenberg seinen Move nach Decentraland ganz unverhohlen – und machte damit unmissverständlich klar, was Metaversum-Nutzer für ihn sind: eine Zielgruppe, der es Geld aus der Tasche zu ziehen gilt. Mit unfassbar coolen, noch nie gesehenen „Experiences“ natürlich.

Das Business rund um diese coolen, noch nie gesehenen „Experiences“ ist für die Wirtschaft also wieder mal der eigentliche Zweck, um sich dort zu engagieren. Woran die Konzeption der Metaversen natürlich nicht ganz unschuldig ist, denn neben der Erstellung von Inhalten und Anwendungen durch die User, geht es immer auch gleich um deren Monetarisierung. Entsprechend können Nutzer dort virtuelle Grundstücke kaufen, sie bebauen und vermarkten – in Form von NFTs, nicht fungiblen digitalen Vermögenswerten also, die z.B. in einem Ethereum Smart Contract verwaltet werden. Allein das zeigt, wie wenig innovativ der ganze Metaverse-Hype doch eigentlich ist! Denn anstatt dort alternative Gesellschafts- und Wirtschaftsmodelle zu erproben, wird der Kapitalismus einfach 1:1 in die digitale Welt gespiegelt und auch dort zementiert. Es ist zum Heulen, nicht wahr? Fällt niemandem mehr was Neues ein?

Offenbar nein. Im Gegenteil: Es mischen alle fleißig mit! So haben etwa Gucci und Ralph Lauren bereits virtuelle Pop-up-Shops auf Roblox und Zepeto, während Samsung in Decentraland einen Brand Store eröffnet hat und Adidas NFT-Kollektionen in The Sandbox vertreibt. The Sandbox ist ein auf Ethereum basierendes Metaverse- und Gaming-Ökosystem, in dem Benutzer In-World-Assets und Spielerlebnisse erstellen, teilen und monetarisieren können. Es bietet nicht nur den Erwerb von virtuellem Land, das nach Lust und Laune kreativ bespielt werden kann, sondern ermöglicht den Spielern auch das Erstellen und Nutzen von Spielgegenständen und Avatar-Ausrüstungen als NFTs. Money money money also… und zwar nicht nur reales, sondern – natürlich! – auch virtuelles Geld. 

Tamadoge zum Beispiel, eine neue „Utility-First-Kryptowährung“. Tamadoge orientiert sich am berühmten Doge-Meme, um die Aufmerksamkeit der Krypto-Crowd auf sich zu ziehen. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Memecoins mit eher eingeschränktem Nutzen bietet Tamadoge diverse Verwendungsmöglichkeiten auf Basis seiner Play-to-Earn-Spielmechanik. Um diese zu ermöglichen, hat Tamadoge NFTs eingeführt, die als Tamadoge-Haustiere bekannt sind. Tamadoge-Haustiere sind Krypto-Assets, die Spieler im offiziellen Tamadoge-Shop kaufen können. Jedes Haustier hat dabei „einzigartige kosmetische Merkmale, Stärken und Schwächen“. Die Spieler prägen sie als Babys und verwenden Spielgegenstände wie Tiernahrung oder Zubehör, um sie aufzuziehen. Und sobald diese Haustiere ausgewachsen sind, können Spieler sie für den Kampf in einer rundenbasierten Tamadoge-Kampfarena – wie Axie Infinity – einsetzen, wofür sie im Falle eines Sieges mit „Dogepoints“ belohnt werden. Das perfekte Braindump-Ecosystem also für verzweifelte Incels, die in der echten Welt garantiert auf ganzer Linie verloren sind. Tamagotchi und Pokemon lassen jedenfalls grüßen – und sicher auch irgendwelche Illuminati, die dafür sorgen, dass die Welt in Brot, Spielen und Dummheit vor die Hunde geht.

Leute! Was passiert hier? Drehen jetzt alle durch? Oder flüchten aus der realen Welt, die nachhaltig abgefuckt ist, schon mal prophylaktisch in die virtuelle, wo man sich der echten Welt erst gar nicht mehr stellen muss und sich genüsslich seinem regressiven Spieltrieb überlassen darf? Vielleicht ist es auch eine Strategie Chinas, uns alle vor Bildschirme und VR-Brillen zu bannen, damit es keinem mehr auffällt, wie das Land sich ein Realworld-Infrastruktur-Projekt nach dem andern unter die Nägel reißt? Ich mache mir jedenfalls ernsthaft Sorgen über unsere Zukunft, in der offenbar „Wertschöpfung“ darin besteht, dass erwachsene Männer und Frauen ihren Lebenssinn darin sehen, virtuelle Haustiere in digitalen Arenen gegeneinander kämpfen zu lassen, um sich alsdann mit dem Preisgeld ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. 

Diese Totalaufgabe jeglicher Selbstachtung nennt sich dann euphemistisch Creator Economy, zu deutsch: Schöpferökonomie. Was kein gutes Licht auf Gottes Schöpfung bzw. dessen Krone wirft, wie ich denke. Das Traurige ist: Eigentlich ist es ja etwas Gutes, dass die Spätmoderne es mithilfe der Digitalisierung geschafft hat, uns alle zu Kreativen zu machen. Digitale Tools ermöglichen es uns, ohne große Kosten Musik, Videos, Spiele, Webseiten, Apps, Netzwerke, Kommunikationsplattformen und weiß der Teufel noch was zu kreieren. Doch neben dem wenigen Brauchbaren erschlägt einen die monströse Hirnlosigkeit des gesamten Longtails überwiegend mit Dingen, die die Welt nun wirklich nicht braucht. Die aber hochgejubelt werden, einfach, weil sie NEU und „innovativ“ sind – und sich deshalb immer wieder Gelangweilte finden lassen, die bereit sind, Geld dafür hinzublättern, zumindest dann, wenn ihnen vorher jemand gesagt hat, dass das jetzt „hot“ oder „cool“ oder „trendy“ oder was auch immer ist.

Schaut man sich die Bundeshaushalte der Jahre 2020 bis 2023 an, sieht man, dass Bildung von Platz 4 auf Platz 7 abgerutscht ist. Man könnte meinen, die Jugend von heute soll fit gemacht werden für den Arbeitsmarkt der Zukunft: ein Leben auf Basis von Bürgergeld und bedingungslosem Grundeinkommen (Sozialhilfe always Platz 1 und growing) sowie autodidaktisch geschult im virtuellen Dauergefecht für künftige multilaterale Auseinandersetzungen (Verteidigung, der neue Platz 2). Macht ja auch Sinn: Dazu braucht man eben Leute, die viel Zeit haben und es gewohnt sind, egomanisch durch die Gegend zu wüten. Digitale Turnschuhe brauchen jedenfalls keine Schnürsenkel; eine haptische Basiskompetenz, die zukünftig durchaus vernachlässigt werden kann. Welcome brave new fucking world!

 

Quellen:

https://www.notebookcheck.com/Ausprobieren-Samsung-oeffnet-eine-virtuelle-Welt-im-Decentraland-Metaverse-und-verlost-dort-auch-NFTs.591063.0.html

https://coinquora.com/skechers-becomes-latest-brand-to-join-the-metaverse-bandwagon/

https://bitcoin-2go.de/the-sandbox-sand/

https://www.business2community.com/de/metaverse/metaverse-unternehmen

https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/gesetzesvorhaben/scholz-bundeshaushalt-2123562

https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/bundeshaushalt-2020-beschlossen-1640494

 

Hintergrundwissen: 

Metaverse: Digitale Hoffnung oder Endzeitvision? (1/2)

FAZ Podcast für Deutschland. Auf Apple Podcasts anhören: https://podcasts.apple.com/de/podcast/metaverse-digitale-hoffnung-oder-endzeitvision-1-2/id1494882653?i=1000564984642

 

Metaverse: Das große Geld im virtuellen Raum (2/2)

FAZ Podcast für Deutschland. Auf Apple Podcasts anhören: https://podcasts.apple.com/de/podcast/metaverse-das-gro%C3%9Fe-geld-im-virtuellen-raum-2-2/id1494882653?i=1000565787416

 

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