Mitarbeiter für Digitale Ethik sensibilisieren

Digital-ethische Fragestellungen sind für viele Unternehmen und ihre Mitarbeiter noch „Neuland“. Sich ihrer bewusst zu sein und entsprechenden Handlungsbedarf zu erkennen, ist daher nicht einfach. Zudem klingeln beim einen die „Alarmglocken“ früher, bei anderen später oder gar nicht…

Zahlreiche Diskussionen rund um Datenschutz, Datensicherheit und Datensouveränität – und nicht zuletzt die Gesetzesvorgaben durch die DSGVO – haben vielen Menschen inzwischen klar gemacht, dass es hier etwas zu schützen gibt. Entsprechend ist auch die Sensibilität auf diesem Gebiet gestiegen. Für andere Fragestellungen gilt dies (noch) nicht.

Unternehmen sollten jedoch auch jenseits der DSGVO daran interessiert sein, ihren Kunden Produkte und Services zu offerieren, die ethisch einwandfrei sind. Dies gilt insbesondere für neue, meist digital-basierte Technologien, die noch nicht bis ins letzte Detail ethisch durchleuchtet sind.

Dazu ist es erforderlich, Mitarbeiter gezielt auf einzelne Themen und Fragestellungen hinzuweisen, die ethische Relevanz haben. Dies kann z.B. über interne Awareness-Kampagnen, Workshops oder die Mitarbeiterzeitung erfolgen. Denn dadurch so können Mitarbeiter selbstständig erkennen, wo es „Ethical Issues“ gibt, die aufgegriffen und gelöst werden müssen.

Denn ohne die Mitarbeit der Mitarbeiter wird es nicht gehen! Zu hoch ist mittlerweile die Komplexität der meisten Services und Prozesse, zu vielschichtig die Biases, die in Algorithmen und KI-Anwendungen versteckt sind, und zu hoch die Anzahl der Touchpoints, als dass Ethiker im Alleingang und im stillen Kämmerlein umfassende Ethik-Vorgaben entwickeln könnten.

Mitarbeiter als Ethik-Mitgestalter

Mitarbeiter sollten unbedingt als Gestaltungspartner und „Co-Developer“ einer Digitalen Ethik mobilisiert und der Prozess selbst als ein „neverending work in progress“ bzw. „always in beta“ aufgefasst werden.

Dazu brauchen sie zunächst einen Bewertungs- und Entscheidungsrahmen, damit sie für Fragen einer „Digitalen Ethik“ erst einmal grundsensibilisiert werden. Das kann in der Form eines übersichtlichen Regelwerks erfolgen, das wenige zentrale Grundsätze beinhaltet, die sich jeder Mitarbeiter einprägen kann.

Da es unmöglich ist, sämtliche potenziell auftretenden ethischen Fragen in solch einem solchen Regelwerk vorwegzunehmen bzw. erschöpfend zu diskutieren, braucht es darüber hinaus ein Tool, das Mitarbeiter in die Lage versetzt, selbstständig und verantwortungsvoll digital-ethische Fragen zu beantworten.

Ein solches Tool kann immer dann zum Einsatz kommen, wenn Entscheidungen entweder schnell getroffen werden müssen oder wenn es schlicht darum geht, sich zu einer Fragestellung eine eigene, ethisch vertretbare Meinung zu bilden.

Mitarbeiter enablen, ethische Fragen eigenständig zu beantworten

Wie könnte ein solches Tool aussehen? Im Idealfall ist es eine Art Mentale Karte, ein kognitives Visualisierungsinstrument also, das deutlich macht, wo die Grenzen von ethische Do’s & Don’ts verlaufen und wo es ethische Schwellen gibt, bei denen man genauer hinschauen sollte.

Ethik bezieht sich – einfach gesagt – auf „Wünschenswerte Zustände“. Diese sind in der Regel keine Extremzustände, sondern liegen meist irgendwo zwischen zwei Extremen. Während die meisten Menschen intuitiv erfassen, was erwünscht und was unerwünscht ist, sorgen die Übergänge („Ethische Schwellen“) oft für starke Verunsicherung.

Daher gilt es, den Menschen ein „Tool“ an die Hand zu geben, mit dem sie selbst ermitteln können, welche Zustände „noch ok“ bzw. „nicht mehr ok“ sind: einen „Ethischen Fragenkatalog“. Er hilft Mitarbeitern dabei, eigenständig ethisch vertretbare Antworten zu finden, indem sie einen ethischen Grenzfall betrachten und sich folgende Fragen dazu stellen:

 

  • Ist es nützlich? Ist es sinnvoll?
  • Ist es gerecht? Ist es fair?
  • Ist es ehrlich? Ist es transparent?
  • Grenzt es jemanden aus?
  • Fügt es jemandem Schaden zu?
  • Verletzt es die Rechte von jemandem?
  • Fühlt es sich falsch an?
  • Verstößt es gegen Gesetze?
  • Verstößt es gegen unsere Werte?
  • Ist es sicher? Ist es kontrollierbar?
  • Ist es zuverlässig? Ist es vertrauenswürdig?
  • Überwiegen die Vorteile die möglichen Nachteile?
  • Überwiegen die Chancen die möglichen Gefahren?
  • Überwiegt der Nutzen den möglichen Schaden?
  • Dient es allen oder nur Einzelnen?
  • Ist es wirtschaftlich (sinnvoll)?

 

Abb 1. Visuelles Bewertungstool zum „Ethischen Fragenkatalog“

Abb 2. Beispiel zum Thema Datenerfassung / Datensparsamkeit

 

Beim Sammeln von Daten beispielsweise kann man sich die Pole Datenminimalismus versus Datenmaximierung denken und dazu jeweils das eindeutig erwünschte bzw. zu beiden Extremen hin eindeutig unerwünschte Verhalten. Tauchen Grenzfälle auf, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen, gilt es in die Tiefe zu gehen: was ist noch ok, was nicht mehr.

Idealerweise lassen sich so gute Kompromisse finden bzw. Lösungen, die aus einem „nicht mehr ok“ ein „noch ok“ werden lassen. Dies funktioniert jedoch nur auf einer sehr granularen Ebene, einer Ebene also, für die es dicke Richtlinienordner bräuchte, um jeden noch so individuell gelagerten Fall abzubilden und ethisch einzusortieren.

Mithilfe des „Ethischen Fragenkatalogs“ können Mitarbeiter selbstständig sinnvolle Antworten finden und das ethische Verhalten in ihrem Unternehmen aktiv mitgestalten anstatt nur passiv nervtötende Detailvorgaben umzusetzen.

Anlaufstellen für Fragesteller bieten

Dennoch sollten sich Mitarbeiten in diesem Bereich nie alleingelassen vorkommen! Dazu braucht es verantwortliche Anlaufstellen, die sich vertrauensvoll und kompetent ihrer digital-ethischen Fragen und Herausforderungen annehmen.

Im Idealfall sollte es hierfür ein zentrales Team an (Digitale) Ethik-Beauftragten geben, die eng mit Compliance- und Datenschutz-Beauftragten zusammenarbeiten. In kleineren Unternehmen können Compliance- und Datenschutz-Beauftragte auch dazu weitergebildet werden, sich um digital-ethische Fragestellungen zu kümmern.

Gegebenenfalls könnte das Ethik-Team auch externen Partnern und Lieferanten als Ansprechpartner zur Verfügung stehen: Herstellern von digitalen Technologien, KI-Programmierern, Entwicklern von Apps, Robotics Firmen etc. So kann ihr Unternehmen überall dort Einfluss ausüben, wo die Technik entsteht, die in seinen Produkten und Services zum Einsatz kommt!

 

 

Title photo by Headway on unsplash.com