Jobs to be done – Was bringt die Theorie fürs Marketing?

Ich bin in den letzten Tagen zufällig mal wieder auf die Jobs-to-be-done-Theorie gestoßen. Der Grundgedanke: Menschen kaufen eigentlich nicht die Produkte oder Dienstleistungen „an sich“; vielmehr „stellen sie sie an“, wie Clayton Christensen in The Innovator’s Solution schreibt, um einen bestimmten Job zu erledigen. Oder anders ausgedrückt: „Kunden wollen keinen Bohrer, sondern ein Loch in der Wand“ (Theodore Levitt).

Klingt erstmal logisch. Und macht wahrscheinlich auch Sinn, wenn es um die Entwicklung neuer Lösungen für neue oder veränderte Herausforderungen geht. Allerdings erklärt die Theorie nicht, warum ich mich bei mehr oder weniger identischen Produkten für das eine und nicht für das andere Angebot entscheide. Schauen wir uns das mal genauer an!

Erstes Beispiel: Ich will kurzes Gras im Garten. Den Job erledigen eine Sense, ein Rollmäher, ein Rasentrimmer, ein Rasenmäher, ein Mähtraktor, ein Mähroboter, Feuer, Laser, Drohnen mit Mähfunktion usw. Jedes der genannten Werkzeuge erledigt den Job mehr oder weniger zu meiner Zufriedenheit. Alles gut also. Differenzierung gegeben, Haken dran.

Wenn ich aber in die einzelnen Kategorien reingehe, dann finde ich zum Beispiel hunderte, wenn nicht gar tausende von Rasenmähern. Worin unterscheiden die sich? Nicht wesentlich durch den Job und kaum durch ihre spezifische Art, diesen Job zu erledigen. Klar gibt es Elektro-Rasenmäher für kleine Gärten bis 50 Quadratmeter, die besonders leise und stromsparend sind (A+++), und Benzin-Mähtraktoren für Villengärten ab 10.000 Quadratmetern, die mit Katalysator ausgestattet sind und über Auffangbehälter in unterschiedlichster Größe verfügen. Hochspezifische Produkte also für unterschiedliche, hochspezialisierte Jobs und entsprechend umrissene Märkte. Aber im Kern ohne großen Unterschied, wenn man sich den Job auf funktionaler, emotionaler und sozialer Ebene anschaut.

 

Der funktionale Job: Gras im Garten kürzen.

Der emotionale Job: Wiederkehrende Selbstbestätigung, den richtigen Mäher für den eigenen Garten gekauft zu haben.

Der soziale Job: Nachbarn zeigen, dass man eine qualifizierte Wahl getroffen hat.

 

Passt auf jeden Mäher, jede Mählösung. Wobei die Sensen-Lösung natürlich etwas archaischer daherkommt als der Mähroboter oder die Drohne mit ultrasparsamem Mählaser, was in den ersten Wochen nach dem Kauf zu höheren Ausschlägen bei den emotionalen und sozialen KPIs führen dürfte. Aber auch das legt sich ja bekanntemaßen recht schnell, wenn jeder Nachbar sein Ah und Oh abgeliefert hat und der Mähende wieder auf sich selbst und seine eigene kleine emotionale Welt reduziert wird.

Nehmen wir ein anderes, emotionaleres Produkt unter die Lupe: das Auto. Was ist der Job to be done hier? Klar, Menschen, Tiere und physische Güter von A nach B befördern. Mal abgesehen davon, dass das auch Schiffe, Space Shuttles, Fahrräder und Heißluftballons können, macht das Auto diesen Job prinzipiell ganz gut – bis auf die bekannten Nebenwirkungen natürlich (Lärm, Schmutz, Verstopfung). Doch auch hier, aha, haben wir wieder eine Vielfalt an unterschiedlichsten Lösungen für den immergleichen Job. Beim Klassiker in Deutschland, dem VW Golf, angefangen, zu einem Tesla Model S und einer S-Klasse hoch und dann wieder runter bis zu einem Toyota Aygo und einem e-up.

Same job to be done, highly different solutions. Auf emotionaler und sozialer Ebene das reinste Feuerwerk. Altes Prestige (S-Klasse) versus neues Prestige (Tesla), Pragmatik (Golf, Aygo) versus Symbolik (S-Klasse), Piefigkeit (Aygo) versus The New Cool (e-up) undsoweiter. Den Bedeutungsraum – Danke, lieber Peter Kruse, für viele spannende Diskussionen! – kennt jeder, hat jeder intuitiv im Blut. Die Frage ist aber: Macht der Job to be done den wahren Unterschied (auf emotionaler und sozialer Ebene) – oder ist es am Ende womöglich die Marke?

Fragen wir nach: Kann ein 3er BMW mehr als ein Audi A4? Ein VW Sharan mehr als ein Ford Galaxy S? Im Großen und Ganzen doch nicht! Und selbst wenn, würde dieses „Mehr“ nicht erklären, warum der Eine dieses Auto, der Nächste jenes Auto bevorzugt. Das Design? Sicher ein wichtiger Faktor. Aber nichts im Vergleich zu den emotionalen und sozialen Bedeutungen, die wir intuitiv, weil gelernt, jedem dieser Produkte andichten und an allen Stammtischen dieser Welt, wenn es sein muss, bis aufs Blut verteidigen.

Was lernen wir also für die zukünftige Anwendung der Job-to-be-done-Theorie? Bei austauschbaren Produkten kommt die Differenzierung aus der Marke, ihren sozialen und emotionalen Subtexten, um genau zu sein. Das ist charakteristisch für alle nutzerzentrierten Ansätze, seien es Design Thinking / HCD, UX, Service Design oder Business Modell Generation. Schade also, dass Produktinnovation in vielen Unternehmen nur auf funktionaler Ebene angestrebt wird und nicht auch auf sozialer und emotionaler Ebene.