Digitale Ethik: E-Health mit Verantwortung

Die Digitalisierung macht vor kaum einem Lebensbereich halt. Auch nicht vor dem höchsten Gut aller Menschen, ihrer Gesundheit. Dabei werden die gesundheitlichen Einflüsse der Digitalisierung durchaus vielschichtig und differenziert wahrgenommen und bewertet.

Während die meisten Menschen positive Aspekte wie…

…höhere Lebensqualität durch bessere Gesundheitsversorgung (Telemedizin, DiGAs)
…intelligentere Prävention (Sensorik, Med Apps, Predictive Med/KI)
…bessere Therapien (KI-Diagnostik, Gentherapie, 3D Organe…)
…sektorenübergreifende Vernetzung und effizienter Ressourceneinsatz
…besserer Zugang zu Gesundheitsindformationen
…mehr Patientenautonomie durch höhere Gesundheitskompetenz
…erhöhte Behandlungssicherheit und -transparenz
…individuell auf Patienten abgestimmte Therapien / Medikamente

durchaus begrüßen, werden potenzielle Risiken, Gefahren und Nebenwirkungen entsprechend kritisch eingestuft:

…unethische Nutzung neuer Technologien (z.B. in der Gentechnik)
…destruktive und kriminelle Nutzung durch Staat, Militär, Konzerne (Dual Use)
…Datenmissbrauch (z.B. Bestrafung für ungesundes Verhalten)
…Datahacking und Erpressung von Patienten/Kranken/Ärzten…
…ökonomische Ungleichheiten ud Zutrittsbarrieren
…algorithmische Verzerrungen (z.B. bei Machine Learning)
…Vertrauensmissbrauch, Irreführung von Nutzern

Insgesamt jedoch, zeigen Studien u.a. von Bitkom und Bertelsmann Stiftung, überwiegt die Zuversicht, dass sowohl der Einzelne als auch die Gesellschaft insgesamt von der Digitalisierung des Gesundheitswesens profitieren werden.

Die Aufgabe, die Krankenkassen in diesem Prozess zukommt, ist es, einerseits die Chancen der Digitalisierung zu ergreifen und im Sinne und zum Wohle von Versicherten und Patienten voranzutreiben, gleichzeitig aber die Menschen vor möglichen Risiken und unerwünschten Nebenwirkungen zu schützen. Keine leichte Aufgabe!

Dafür aber eine umso komplexere, denn die Gesundheitswirtschaft selbst ist ein schier endloser Organismus mit einer Vielzahl an Akteuren und Interessengruppen, fachlichen Themen, juristischen Rahmenbedingungen, Finanzströmen etc. Um das Thema bearbeitbar zu machen, habe ich mich bei der Arbeit mit der BARMER Krankenversicherung daher auf zwei übergeordnete Perspektiven konzentriert: zum einen die Digitalisierung der Gesundheitswelt (und der BARMER), zum anderen die gesundheitlichen Aspekte und Folgen der Digitalisierung in der Gesellschaft. Die erste Facette beschäftigt sich dabei konkret mit den Bedingungen der Digitalisierung des Gesundheitssystem, dem „Backend“ also, die zweite Facette mit der Digitalisierung auf Nutzerseite, dem „Frontend“.

Um die „Digitalisierung der Gesundheitswelt (und der BARMER)“ möglichst positiv zu gestalten, zeigte sich, dass es klare ethische Richtlinien für die Entwicklung und den Einsatz von digital getriebenen medizinischen Technologien, Anwendungen und Services im Gesundheitsbereich braucht, eine „Digitale Ethik“ also. Die zentrale Frage: Wie viel und welche Art der Digitalisierung wollen wir im Gesundheitswesen – und wie können wir als BARMER diese Entwicklungen (gesundheitspolitisch) mit beeinflussen?

Um die „Gesundheitlichen Aspekte und Folgen der Digitalisierung in der Gesellschaft“ möglichst positiv zu gestalten, zeigte sich, dass es politisches Engagement, neue gesellschaftliche Werte und eine umfassende Aufklärung und Steigerung der Digitalkompetenz von Ärzten und Patienten braucht, etwas also, was man als „Digitale Gesundheitskompetenz“ bezeichnen kann. Zentrale Frage hier: Wie beeinflusst Digitalisierung die Gesellschaft und wie können wir als BARMER einen Beitrag dazu leisten, dass die Digitalisierung möglichst positiv erfolgt?

 

Digitale Ethik: ein „ethisches Betriebssystem“

Technologie ist meistens „mit den besten Absichten“ designt. Auch – und gerade – in der Medizin. Dennoch haben Entwickler, Nutzer und die Gesellschaft als Ganzes in der Regel unterschiedliche Perspektiven und Interessen, um zu definieren, was „wünschenswert“ ist und was nicht.

Digitale Ethik fragt nach dem guten und richtigen Leben und Zusammenleben in einer Welt, die von digitalen Technologien geprägt ist. Sie formuliert Regeln für das richtige Handeln in Konfliktsituationen, die von der Digitalisierung aufgeworfen werden, und beschäftigt sich mit dem gesellschaftlichen Konzept von Freiheit und Privatsphäre, von Solidarität und Gerechtigkeit.

Als gesetzliche Krankenversicherung sieht die BARMER die Notwendigkeit, die Digitalisierung der Gesundheitswelt auf ethische Aspekte hin zu überprüfen und die Integration ethischen Denkens, Handelns und Entwickelns voranzutreiben.

Das daraus entstandene „Ethische Betriebssystem“ gibt einen Orientierungsrahmen vor, der hilft, eine fundierte Haltung gegenüber neuen, digital induzierten Technologien und Fragestellungen zu entwickeln und diese besser einordnen und kritisch bewerten zu können.

Dies geschieht natürlich nicht im luftleeren Raum. Denn vieles ist hier bereits in unterschiedlichen Branchen (u.a. Datenwirtschaft und KI-Entwicklung) und Disziplinen (u.a. Medizinethik, Forschungsethik, Algorithmenethik) vorgedacht. Zudem existiert ein definierter gesetzlicher Rahmen (u.a. DSGVO, E-Health-Gesetz, Digitale-Versorgung-Gesetz), den es zu berücksichtigen gilt, und die BARMER als Marke hat ebenfalls bestimmte Sichtweisen und Interessen, die bei der Entwicklung eines ethischen Rahmenwerks für die digitale Entwicklung des Gesundheitswesens implementiert werden müssen.

Dabei zeigte sich, dass alle Ethiken und Ausarbeitungen ähnliche Kernprinzipien aufweisen: allgemeine ethische Grundsätze, die als Basis dienen, um dann konkrete Anwendungsfälle der jeweiligen Disziplin zu beleuchten. Zentrale Aspekte sind dabei Verantwortung, Transparenz, Sicherheit, Zuverlässigkeit, Schutz der Privatsphäre sowie Barriere- und Diskriminierungsfreiheit, um nur einige zu nennen. Vor diesem Hintergrund galt es dann, das Spezifische der Digitalen Ethik der BARMER herauszuarbeiten, was am Ende – stark vereinfacht – zu einem solchen System geführt hat:

Jeder dieser Aspekte wurde anschließend in die Tiefe ausgearbeitet, mit einem Leitsatz, der die Essenz des jeweiligen Gedankens einfängt, detaillierten Aspekten, Positionen, Beispielen und Anwendungsfällen sowie einem Set an Anforderungen an die verschiedenen Stakeholder.

Mit dem so definierten „ethischen Betriebssystem“ erhalten die Mitarbeiter einen klaren Werterahmen, um digitale Gesundheitsanwendungen selbstständig bewerten zu können und um die Digitalisierung gezielt und „on-strategy“ weiter vorantreiben zu können.

 

Digitale Gesundheitskompetenz: Gesund in die digitale Zukunft

Health Apps, elektronische Patientenakte, KI in der Diagnostik oder Telemedizin – das sind einige der Themen, die einem sofort einfallen, wenn es um „Digitalen Wandel und Gesundheit“ geht. Die zweite Themenperspektive geht aber noch einen Schritt weiter und fragt: Was macht eigentlich der Digitale Wandel mit uns Menschen und welche Auswirkungen hat das auf unsere Gesundheit? Dabei geht es dann um solche Themen und Fragestellungen wie…

…Gesellschaftliche Veränderungen: digitale Durchdringung des Alltags, Allgegenwart digitaler Angebote, Missbrauch/Betrug, Überwachung, Vereinsamung, Verödung öffentlicher Räume, Bedrohung der Arbeit und des Werts der Arbeit…
…Folgen der Digitalisierung: Internet- und Spielsucht, Digitale Demenz, Informationsüberflutung, Fear of Missing Out (FOMO), Nomophobie (No-Mobile-Phone-Phobia), chronische Rückenleiden aufgrund von häufiger sitzender Arbeit an Schreibtisch und Computer, brennende Augen vom Bildschirmflimmern, Schlaflosigkeit oder neue Volkskrankheiten wie Handy-Nacken, i-Phone Schulter oder WhatsAppitis
…Gesundes Aufwachsen und Gesundbleiben: Medienkompetenz, zeitliche Begrenzung, analoge Interessen/Aktivitäten, Bewegung/Sport, Achtsamkeit, Verzicht…

Denn Gesundheitsschäden als Folge der Nutzung von Smartphones, Tablets und Laptops haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Dank der Verbreitung von Flatrates werden digitale Geräte heute privat wie beruflich ständig und an fast allen Orten genutzt.

Um daraus resultierende Gesundheitsschäden zu verhindern, brauchen Nutzer Informationen, Präventionsangebote und psychologischen Support. Insbesondere im Kontext des Arbeitens, wo Veränderungen oft zu Verunsicherungen und Ängsten führen, gilt es, Bedingungen zu schaffen, die den Digitalen Wandel so gestalten, dass die Gesundheit der Betroffenen nicht Schaden leidet. Dies erreicht man zum einen über die Politik, zum anderen über ein entsprechendes Bewusstsein auf Seiten der Öffentlichkeit.

Die große Frage, die sich beim Thema Digitalisierung in immer neuen Facetten stellt, ist jedoch eine Frage der Haltung: Wie viel Digitalisierung wollen wir? Was konkret befürworten wir, was lehnen wir ab? Wo setzen wir Grenzen und wie gehen wir mit Interessenskonflikten um?

Als Gesetzliche Krankenversicherung will die BARMER ihre Versicherten unterstützen, in der digitalen Welt gesund zu bleiben. Dazu braucht es ein Engagement in vielen verschiedenen Bereichen, u.a. in Bereichen wie…

…Digitale Bildung & Digitalkompetenz: Digitale Technologien als Thema in Bildung und Ausbildung mit dem Ziel eines informierten, reflektierten und ethischen Umgangs mit digitalen Technologien
…Regeln für ein gesundes Miteinander in der digitalen Welt: „Netiquette“, Benimmregeln, Selbstschutz, Resilienz
…Digitale Gesundheitskompetenz / eHealth Literacy: Gesundheitsbewusster Umgang mit Internet, Computer, Handy, Gamingkonsolen etc. Kompetenz im Auffinden und Umgang mit digitalen Gesundheitsinformationen und –anwendungen
…Gesundheit am digitalen Arbeitsplatz: Ergonomie, Prävention und Gesundheitsschutz am digitalen Arbeitsplatz
…Unterstützung analoger, sozialer, gesundheitsfördernder Aktivitäten: Programme für mehr Bewegung, Miteinander fördern, Begegnung organisieren, Digitales analog umsetzen
…Wiederbelebung des öffentlichen Raums: Initiieren einer neuen Begegnungskultur, Wiederbelebung der Städte, Alternativen zum Konsum

Bevor man jedoch definieren kann, wie man sich konkret bei jedem Thema engagieren will, muss die BARMER ihre Positionen und Haltungen zu jedem Thema klären. Auch dies keine triviale Arbeit! Zudem gilt es, die zentralen Perspektiven eines jeden Themas zu eruieren und sich zu überlegen, wo eine Krankenkasse überhaupt einen sinnvollen und wirkungsvollen Beitrag leisten kann. Hier gilt es dann auf einige wenige Themen zu fokussieren, zu denen man dann konkrete Aktionen und Initiativen entwickeln kann.

 

Auf der Webseite der BARMER wurde das Thema anschließend so umgesetzt:

Quelle: https://www.barmer.de/gesundheit-verstehen/gesundheit-2030/digitale-ethik